Das mit den Büchern kennen viele noch aus der Schulzeit. Nachts wurde der Bello Gallico unters Kopfkissen gelegt und am nächsten Tag die Lateinarbeit versemmelt. Natürlich hat die Kopfkissenmethode nie funktioniert. Und trotzdem legt sich die Weekend-Reporterin einmal am Tag auf den Fußboden. Unter dem Kopf klemmt das geballte philosophische Wissen von Nietzsche, Kant und Sartre. Und es wirkt.
Nicht dass sich jetzt unglaubliche Weisheit einstellen würde. Aber nach nur zehn Minuten Bücherkopfkissen stellt sich zumindest Entspannung ein. Es hat Wochen gedauert bis zu diesem Punkt – aber davon später mehr.

Freunde hatten der Weekend-Reporterin diese Technik empfohlen, ja angepriesen: Alexander-Technik, so etwas wie eine Massage ohne Masseur, Krankengymnastik ohne Bewegung. Man liegt einfach da, die Beine sind aufgestellt, die Hände auf dem Bauch verschränkt. Arme, Beine, Schultern – alles ganz locker. Und man horcht in sich hinein. Spürt, dass die Arme von den Schultern bis in die Fingerspitzen reichen, die Beine an den Zehen enden. Fühlt, wie sich beim Atmen die Bauchdecke hebt und wieder senkt, wie die Mundwinkel ganz leicht und locker werden, wie die Schulterblätter schwer den Boden berühren, ebenso das Steißbein, die Fußsohlen. Das war’s, sonst nichts.

Es solle gut für alles sein, behaupten die Freunde und erzählen nette Anekdoten. Von den verschwundenen Rückenschmerzen, der ausbleibenden Migräne. Von begradigten Wirbelsäulen war die Rede und von freien Köpfen.

Außerdem soll sie noch bei stressbedingten Krankheiten helfen, gegen Arthritis und Parkinson. Sie hilft, Nervosität in den Griff zu bekommen und macht souverän. Kurz: Sie macht den Menschen besser, gesunder, größer.

Unter ganzheitlich orientierten Therapeuten und Kreativen ist Alexander-Technik seit etwa 70 Jahren ein Begriff. Benannt wurde sie nach ihrem Entdecker, dem australischen Schauspieler Frederick Matthias Alexander (1869 bis 1955). Als ihm immer öfter die Stimme versagte, waren die Ärzte ratlos. Nach monatelangen Selbstbeobachtungen vor dem Spiegel hatte er erkannt, dass er seinen Kopf beim Rezitieren auf eine Weise neigte, die auf den Kehlkopf drückte. Ihm war nie zuvor aufgefallen, dass er das tat. Und schlimmer: Es fiel ihm schwer, das bleiben zu lassen. Er entwickelte eine Entspannungsmethode, die ihm half, sich diese offensichtlich schädliche Bewegung abzugewöhnen. "The Use of the Self" hieß Alexanders erste Veröffentlichung im Jahr 1932, "Der Gebrauch des Selbst". Es folgten zahlreiche Publikationen. Alexander hatte nicht nur Fans unter populären Zeitgenossen, wie die britischen Schriftsteller George Bernard Shaw und Aldous Huxley. Auch von Paul Newman, Sting und Paul McCartney weiß man, dass sie sich regelmäßig nach der Lehre von F. M. Alexander auf den Boden legen.

Das Schöne an der Alexander-Technik ist, dass sie subtil wirkt, also in keiner Weise anstrengend ist. Wo der Mensch bei anderen Körper bildenden Maßnahmen wie Yoga und Thai Chi schon mal ins Schwitzen gerät, muss der Alexander-Techniker nicht einmal das Hemd wechseln. Und noch etwas ist wichtig: Egal wie alt ein Mensch ist – er kommt mit den Übungen zurande. Schade ist nur, dass wer effektiv an sich arbeiten will, Einzelstunden nehmen sollte. Und die sind mit 30 bis 40 Euro für eine Einheit von 30 bis 50 Minuten nicht eben günstig. Erst nach einem Jahr wöchentlichen Trainings ist der Lernende in der Lage, sich selbst zu helfen. Trotz vieler Erfolgsmeldungen zahlen die Krankenkassen nichts. Denn Alexander-Technik ist weder Sportart noch Heilmethode.

Die Popularität der Alexander-Technik funktioniert nach dem Schneeballprinzip. Allein in Berlin wurden in den letzten Jahren drei Schulen für Alexander-Lehrer gegründet. Mehr als drei Dutzend Trainer unterweisen in der Hauptstadt die Kunst des Nichtstuns. Bundesweit sind es mehrere Hundert. Manche unterrichten neben ihrem eigentlichen Beruf, wie der Berliner Bauingenieur Michael Vogler. Vor zwölf Jahren hatten ihn starke Rückenschmerzen nieder gestreckt. Massagen halfen nicht wirklich, Krafttraining machten sie schlimmer. Eine Ärztin empfahl ihm, es mit Alexander-Training zu versuchen. "Bei anderen alternativen Methoden hatte ich immer das Gefühl, man müsse dran glauben. Hier nicht. Man muss nicht einmal Bücher lesen. Es wirkt einfach", sagt Vogler. "Vor allem frage ich mich immer wieder: Tue ich im Augenblick was ich möchte, oder was ich gewohnt bin?" Nicht nur sein Rücken ist heute relaxter, auch Job und Privatleben laufen entspannter.

Ähnliches stellte Justiziar Richard Wurbs fest. Eigentlich wollte der Hobbymusiker mit Hilfe der Alexander-Technik sein Lampenfieber vor Auftritten loswerden. "Die größte Veränderung habe ich aber im Berufsleben bemerkt." Präsentationen vor 300 Menschen machen ihm nichts mehr aus. Natürlich ist er nervös. Aber er hat gelernt, dass es ihm hilft, aufrecht zum Rednerpult zu gehen. Beim Sprechen legt er nun einfach mal eine Pause ein. Im größten Stress findet er Ruhe. Inne zu halten, durch zu atmen – und aus jeder Situation das Beste zu machen.

Und das kann man üben. Zum Beispiel, indem man sich einfach mal für zehn Minuten auf den Boden legt. Ganz nach einem Motto im Zen: Wenn du es eilig hast, dann mache einen Umweg. Womit wir wieder bei den Philosophen wären.

Alexanderlehrer in Ihrer Nähe:
www.alexander-technik.org

Text: Kirsten Niemann   Aus: Handelsblatt, 14. Juli 2006

Everyone is always teaching one what to do, leaving us still doing the things we shouldn’t do.

F.M. Alexander

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